Jeder von uns kennt seine eigenen Grenzen (hoffentlich).
Jeder von uns kennt die Grenzen seines Gegenübers (in der Regel). Ich spreche hier über Beziehungen mit vertrauten Menschen.
Und doch überschreiten wir sie.
Im Streit, im Konflikt, in der Meinungsverschiedenheit, in der Auseinandersetzung übertreten wir diese roten Linien.
Warum?
Und was dann?
Es gibt zum einen die Konstellation, dass wir überwältigt sind. Wir sind verärgert. Wir sind aufgeregt. Wir werden nicht gehört oder verstanden. Wir sind wütend und überrollt von den Argumenten des anderen oder von seinem/ihrem Verhalten.
Hier können wir behaupten, dass unser präfrontaler Kortex sich ausschaltet (also das klare Denken) und das limbische System mit unseren uralten Mustern übernimmt (Fight Flight oder Freeze).
Der Körper produziert die Stressbotenstoffe Adrenalin und Cortisol, „es regiert“ uns.
Die andere Variante ist der Reiz, der Thrill der Grenzüberschreitung:
Ich kenne Deine Achilles-Ferse. Ich weiß um Deine Schwachstellen. Ich weiß ganz genau, wie ich Dir eins auswischen kann. Ich weiß ganz genau, wie ich Dich verletzen kann.
Also: Affekt oder Kalkül?
Ich würde sagen: oft eine Mischung aus beidem.
Wie würdet Ihr Eure Erfahrungen damit einordnen?
In ungesunden und toxischen Beziehungen passiert allerdings das Zweite häufiger: ich kenne genau Deine Schwachstellen und ich nutze sie, um Dich zu verletzen, um Dich zu demütigen und es Dir heimzuzahlen.
Und dann?
Kennt ihr das? „Oh, das tut mir leid, ich habe das so nicht gemeint, das wollte ich nicht“.
Wirklich?
Sigmund Freud hat gesagt: „mit Worten kannst Du einem Menschen höchstes Glück schenken oder ihn in tiefe Verzweiflung stürzen“.
Worte sind MACHT.
Auch ungesagte Worte.
Also, wie können wir gut streiten? Wie können wir gut Konflikte führen?
Denn wir müssen streiten. Streit ist Reibung. Streit ist Verhandlung. Das bedeutet: ich kläre meine Position. Ich verschaffe mir Raum und Gehör. Ich mute mich Dir zu.
Die Andersartigkeit des anderen anzunehmen (Jens Corssen) geschieht ja nicht geräuschlos. Oder schmerzlos. Sie braucht Verhandlungen.
Um gut verhandeln zu können, müssen wir erstens uns selbst und unsere Bedürfnisse sehr gut kennen. Wir müssen uns sicher gebunden fühlen. Wir müssen ein gutes stabiles Selbstwertgefühl haben. Wir brauchen dafür die Sicherheit, dass der Partner uns nicht verlässt, wenn wir für uns einstehen.