Heute möchte ich mal über ein Thema schreiben, das in meinem Alltag als Paartherapeutin einen großen Raum hat und das für nahezu jedes Paar, egal welchen Alters oder Geschlechts, ein Thema ist: Sex, oder besser gesagt, kein Sex.
Wer nicht betroffen ist oder nie betroffen war, darf gerne aufhören weiterzulesen…..
Von körperlichen Herausforderungen über Vertrauensbrüche, elterliche Erschöpfung, Langeweile oder Stress: Es gibt so viele Gründe für Sexlosigkeit in Beziehungen.
Einige Paare sind ohne Sex vollkommen glücklich, und das ist in Ordnung, solange beide auf derselben Wellenlänge sind. Viel öfter aber ist Sexlosigkeit verbunden mit verletzten Gefühlen und mit Verunsicherung, insbesondere dann, wenn die Liebe da ist, die Lust aber nicht.
Wer wissen möchte, ob sein Sexleben normal ist, muss nur einmal kurz ins Internet gehen und „sexlose Beziehung“ eingeben und schon wird man Millionen von Einträgen finden. Es gibt sogar einen Wikipedia-Eintrag über „sexless marriage“. Es kommt dann als Erstes die Erleichterung: Ich bin nicht die erste und einzige Person, die sich fragt, ob die Häufigkeit von Sex in meinem Leben normal ist. Und es gibt Studien, die „belegen“, dass einmal pro Woche Sex in der Ehe als Norm gilt (ich kann Normen dieser Art nicht leiden).
(Fast) alle Paare gehen in ihrem Leben durch sexslose Phasen. Es gibt auch weitere Studien, die belegen, dass bei amerikanischen und auch europäischen Paaren die Häufigkeit sexueller Begegnungen in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, aus welchen Gründen auch immer (beruflicher Stress, Pandemie, Performance-Druck von allen Seiten, übersexualisierte Gesellschaft, Pornographie). Wenn solche Statistiken einen beruhigen, ist das fein, aber tatsächlich geben Statistiken nur einen Bruchteil dessen wieder, worum es wirklich geht. Denn die diffusen und feinen Nuancen der Sexualität, nämlich Liebe, Intimität, Macht, Hingabe, Lust, Erotik und Sinnlichkeit, sind selten Schlagzeilen wert.
Erotik ist eine nicht messbare Qualität von Lebendigkeit und Fantasie und wird zu oft auf das reduziert, was der französische Autor Jean-Claude Guillebaud „physiologische Mathematik“ nennt. Es sind genau diese nicht quantifizierbaren Aspekte von Sex und Sinnlichkeit, die helfen, ein totes Bett wieder zum Leben zu erwecken.
Das Wichtigste ist zuerst, das Spiel mit den Zahlen aufzugeben.
Ich höre von Paaren oft Aussagen wie: Wir hatten zuletzt Sex vor einem Jahr, oder wir hatten in diesem Jahr nur dreimal Sex und Ähnliches. Unsere Obsession von Häufigkeit, Penetration und Orgasmen vernachlässigt das unendliche Reich der Erotik und der Lust.
Wir können uns zu Sex zwingen, aber wir können uns nicht dazu zwingen, ihn zu wollen. Und wir können unseren Partner auch nicht zwingen, Sex zu wollen. Nichts tötet Lust mehr als ständiges Reden darüber, wie wenig Sex es in der Beziehung gibt.
Wo ist aber die Lösung? Zuerst im Gespräch. Mit unserem Partner über Lust zu sprechen, mag am Anfang beschämend oder beängstigend sein. Die meisten von uns haben diesbezüglich keine adäquate Sprache gelernt, abgesehen natürlich von Begriffen, die mit dem Körperlichen zu tun haben, aber die Sprache der Erotik und der Lust, die fehlt den meisten von uns.
Es ist eine mysteriöse und fremde Welt. Wie definieren wir Lust? Warum ist sie so schwer zu erhalten? Warum verlieren wir sie? Können wir sie einfordern? Wie kann sie wieder entfacht werden, wenn sie weg ist? Lust ist ein bisschen wie ein scheues Reh…
Wir alle ringen mit dem Thema Lust, auch wenn wir in allen anderen Bereichen der Beziehung sehr zufrieden sind, egal ob heterosexuell, homosexuell, jung, alt, verheiratet, monogam, polygam: Wir wollen wollen und wir wollen gewollt werden, und das ist ein wundervoller Ausgangspunkt für eine Konversation mit unserem Partner.
Ladet Euren Partner zu einem Glas Wein oder einem Tee oder Kaffee ein. Lasst Euch von Eurer Neugier treiben und sucht Euch drei oder vier der folgenden Fragen aus und stellt sie einander.
- Welche ist Deine Lieblingswassertemperatur?
- Welche ist Deine Lieblingsaußentemperatur?
- Wie reagierst Du auf Sonne, Wind, Luft, Kälte, Wärme?
- Spürst Du bewusst, was Deine Haut berührt?
- Wenn Du Dich wäschst, welche Beziehung hast Du dann zu dem Körper, den Du gerade berührst? Genießt Du es, Dich selbst zu berühren (und ich meine damit nicht nur die Genitalien, sondern Dich selbst zu verwöhnen und zu spüren)?
- Wenn Du etwas trinkst oder isst, schlingst Du oder genießt Du ganz langsam in kleinen Schlucken und Bissen?
- Welcher nicht sexuelle Gegenstand oder Handlung fühlt sich für Dich sexuell oder erotisch an?
- Mit welchem Deiner fünf Sinne machst Du meistens Liebe?
- Welchen Deiner fünf Sinne nimmst Du am wenigsten wahr oder nutzt ihn am wenigsten?
- Wie fühlt es sich für Dich an, wenn Du etwas intensiv willst? Wo spürst Du es?
- Wie fühlt es sich für Dich an, von jemandem gewollt zu werden?
- Welche ist Deine schönste lustvolle Erinnerung an uns beide?
Ich wünsche Euch viele schöne Erkenntnisse und ein herrliches Prickeln beim Fragespiel!
In meinem online Kurs „Der Baum der Liebe – oder die fünf Geheimnisse glücklicher Beziehungen“ gibt es einen schönen Teil über die Wiederentfachung der Lust mit Übungen.